Neujahrsempfang

Rede von Prof. Dr. Horst W. Opaschowski

Pressemitteilung vom 08.01.2013

Blick in die Zukunft: Generationsübergreifendes Arbeiten und Leben

von Prof. Dr. Horst W. Opaschowski
Zukunftswissenschaftler
Berater für Wirtschaft und Politik

WIE WIRD 2013? DIE NAHE ZUKUNFT

2013 wird nach Einschätzung der deutschen Bevölkerung ein Übergangsjahr, das gleichermaßen Anlass zu Hoffnungen wie zu Sorgen gibt. Die Bundesbürger schwanken zwischen Zukunftsoptimismus und Krisenstimmung. Die nahe Zukunft ist für sie offener denn je. Die Deutschen haben Angst um ihr Geld und um die Erhaltung ihres Lebensstandards. Aber gleichzeitig wächst ihr Vertrauen in sich und die Mitmenschen, in unsicheren Zeiten die Anforderungen des Lebens aus eigener Kraft meistern zu können, ohne sich auf Politik und staatliche Hilfen verlassen zu müssen. Die Ära der „German Angst“ ist vorüber.

Andererseits stimmen im Hinblick auf die nahe Zukunft die Signale aus der Wirtschaft viele Beschäftigte nachdenklich. Um im Leistungswettbewerb zu bestehen, erwartet die überwiegende Mehrheit der Deutschen, dass sie mit noch „mehr Druckund Stress“ arbeiten und mit „mehr Arbeitsplatzunsicherheit leben muss“ (2011: 65% - 2012: 79%). Dies bedeutet: Steigende Leistungsanforderungen gehen mit erhöhten Gesundheitsrisiken einher. Und mit der Sorge um die Sicherheit des Arbeitsplatzes und der Angst vor Personalabbau wächst auch die Sehnsucht nach existentieller Sicherheit. Die Arbeitnehmer denken um: Jobgarantien werden wichtiger als Einkommenserhöhungen.

SIEBEN ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN FÜR DAS GENERATIONSÜBERGREIFENDE ARBEITEN UND LEBEN VON MORGEN

ZUKUNFTSPERSPEKTIVE 1 Revolution auf leisen Sohlen. Von der Dreiteilung des Lebens zur Mehrgenerationengesellschaft

Der demografische Wandel ist ein schleichender Prozess und kein Blitz aus heiterem Himmel. Dieser Wandel kommt einer Revolution auf leisen Sohlen gleich. Aus dem traditionellen Lebensbogen Ausbildung/Beruf/Ruhestand werden einzelne Streckenabschnitte im Leben. Der vor fast dreißig Jahren als Folge steigender Lebenserwartung vorausgesagte Wandel von der Drei- zur Vier-und Mehrgenerationengesellschaft wird Wirklichkeit.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVE 2 Schafft den Ruhestand ab! Das Defizitbild vom Alter ist überholt

Die sogenannte Altersgrenze ist eine Alters-Versicherungs-Grenze. Sie lag 1889 bei 70 Jahren und wurde 1916 auf das 65. Lebensjahr herabgesetzt. Das Defizitbild vom Alter ist überholt. In Zukunft wird es drei ältere Generationen geben: 50plus,65plus und 80plus, wozu auch Über-Hundertjährige gehören. Und die drei wichtigsten Wünsche dieser älteren Generationen (im Plural!) an die Zukunft lauten dann: 1. Geistig fit bleiben. 2. Finanziell abgesichert sein. 3. Dauerhaft im Familien- und Freundeskreis eingebunden sein. Diese älteren Generationen wollen geistig nicht stehen-, sondern in Bewegung bleiben.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVE 3 Der Generationenkonflikt findet nicht statt. Generationen halten zusammen

In großem Umfang fließen Ströme an Geld, Sachmitteln und persönlichen Hilfen von den Älteren zu den Jüngeren. Die Älteren leisten erhebliche Transfers an ihre Kinder: Geld, Sachmittel und persönliche Hilfen. Längsschnittuntersuchungen  über mehr als vier Generationen weisen nach: Generationenbeziehungen werden wichtiger als Partnerbeziehungen. Sie weisen ein höheres Maß an Stabilität auf.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVE 4 Eine neue Welt der Produktivität entsteht. Die Wirtschaft braucht hoch spezialisierte Wissensträger

Zum demografischen Wandel in der Gesellschaft gesellt sich in den nächsten zwanzig Jahren ein grundlegender Beschäftigungswandel in der Arbeitswelt. Dann heißt es nicht mehr: „Mit 50 zum alten Eisen“, sondern: „Re-Start mit 50!“ Die Wirtschaftbraucht wieder ältere Arbeitnehmer. Der „Jugendwahn“ in den Betrieben überlebt sich – auch eine Folge des demografischen und sozialen Wandels. Ältere Arbeitnehmer gelten als hoch spezialisierte Wissensträger, die nicht ohne weiteres zu ersetzen sind. In Zukunft wird die Rente mit 70 Normalität werden. Dies ist kein Indiz für wachsende Altersarmut, wie Sozialverbände vermuten können. Es deutet eher auf ungenutzte Potentiale älterer Arbeitnehmer hin, die weiter gefordert und nicht sozial isoliert werden wollen.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVE 5 Beständigkeit statt Altersrezession. Das Langzeitgedächtnis kehrt in die Betriebe zurück

Die Wirtschafts- und Arbeitswelt wird von der doppelten Erfahrung – der Lebens- und der Berufserfahrung der Älteren – profitieren. Gelassenheit und Beständigkeit halten wieder mehr Einzug in das Arbeitsleben. Persönlichkeitsmerkmale werden wieder mindestens so hoch bewertet wie fachliche Spezialisierungen. Und es wird weniger Klagen über soziale Kälte in den Betrieben geben.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVE 6 Lebenslang beschäftigt bleiben. Die Demografiestrategie gegen Altersarmut

Medizinische Fortschritte und ein verändertes Gesundheitsbewusstsein, mehr Bildung sowie ein höherer Lebensstandard sorgen insbesondere in der westlichen Welt dafür, dass die Menschen mindestens ein Drittel ihres Lebens als Ältere verbringen. Im Vergleich zu früheren Generationen werden sie chronologisch älter, aber in ihrer subjektiven Befindlichkeit fühlenund machen sie sich jünger – auch und gerade im Hinblick auf ihre Leistungsfähigkeit.

Die gesetzliche Rente reicht in Zukunft nicht mehr aus, um Altersarmut zu verhindern. Die politische Konsequenz ist klar: Der beste Weg zur Bekämpfung von Altersarmut ist eine möglichst lange Beschäftigung, weil aus der gesetzlichen Rente allein der gewohnte Lebensstandard nicht mehr gehalten werden kann. Bei einem tendenziell sinkenden Rentenniveau in dennächsten dreißig Jahren wird eine wachsende Zahl von Älteren weiter arbeiten müssen und wollen.

ZUKUNFTSPERSPEKTIVE 7 Rente und Renditen sind nicht alles. Ältere wollen weiter gebraucht werden

Die Mehrheit der Senioren von morgen hat für das bloße Nichtstun keinen langen Atem mehr. Stattdessen heißt es immer öfter: „Carpe diem“ – nutze den Tag! Die Anforderungen des modernen Lebens machen auch vor dem „Ruhe“-stand nicht Halt. Ohne eigene Gesundheit ist fast alles nichts wert. Daher ist klar: Jeder und jede muss mehr für die eigene Gesundheit tun, also körperlich, seelisch, geistig und sozial fit bleiben, um im Alter nicht allein zu sein oder sich als fünfte Generation wiedas fünfte Rad am Wagen zu fühlen. Nicht Traumschiffe und Traumreisen stehen bei den älteren Generationen im Zentrum unerfüllter Wünsche, sondern geistige Fitness und soziale Kontakte, Schaffensfreude und materielle Sicherheit.

GRUNDLAGENLITERATUR

Opaschowski, H.W.: Die Generationenwelt 2030. Mehr Pakt als Krieg. In: Ders.: Deutschland 2030, S. 528-575 (erscheint im März 2013 im Gütersloher Verlagshaus).

Weitere Informationen unter
www.opaschowski.de