Dr. Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher Hamburger Volksbank
Bundesbank Symposium
8. Juli 2015
Vorschläge des Baseler Ausschusses zum Kreditrisiko-Standardansatz
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
Und erlauben Sie mir bitte, einen ganz spezifischen Schlusspunkt zu setzen. Christian Denk hat gerade, wie alle unsere Vorredner, eine höchst kenntnisreiche und differenzierte Analyse der verdienstvollen Bemühungen und detaillierten Vorschläge des Baseler Ausschusses zum Kreditrisiko-Standardansatz angestellt.
Ich werde eine deutlich grundsätzlichere Sichtweise einnehmen. Es ist die Perspektive eines Bankers, der seine dienende Rolle für die Realwirtschaft verinnerlicht hat und sich dieser verpflichtet fühlt. Ich sehe die eingeschlagene Ausrichtung der europäischen Bankenaufsicht höchst kritisch und werde grundlegend ableiten, dass die bankaufsichtlichen Konzepte ein neues, verändertes Leitbild brauchen. Ein Paradigmenwechsel ist erforderlich! In einem zweiten Schritt werde ich die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen exemplarisch an den Baseler Vorschlägen zum Kreditrisiko-Standardansatz erläutern. Und schließlich ein weiterführendes Fazit ziehen.
Seit über 6 Jahren versuchen die internationalen Autoritäten der Bankenaufsicht die Bankenmärkte sicherer zu machen und sich aus der Geiselhaft des systemischen „Too Big to Fail“-Problems zu lösen. Doch den Aufsehern fällt nicht viel mehr ein, als von den Banken mehr und härteres Eigenkapital zu fordern und verschiedene Einzelregeln vorgeblich risikosensitiver und damit komplexer zu machen. Christian Denk ist auf die vermuteten Schwächen des aktuellen Kreditrisiko-Standardansatz, die vom Baseler-Ausschuss postuliert werden, bereits eingegangen.
Übersehen wird bei vielen Bemühungen, dass sich große Banken immer mehr von der Finanzierung der Realwirtschaft entfernt haben. Die angestrebten Kapitalrenditen waren im „langweiligen“ Geschäft mit Unternehmen und Privatkunden nicht erzielbar. Daher wurden zusätzliche Geschäftsfelder mit neuen „innovativen“ Produkten erschlossen, die Märkte wurden „gemacht“. Teile der Finanzwirtschaft koppelten sich weitgehend von der Realwirtschaft ab und schufen ihre eigene Parallel-Kapitalmarktwelt.
Demgegenüber waren die Urteile von direkt in die Kredit- und Handelsbeziehungen involvierten Menschen zugunsten der Ratingagenturen nicht mehr gefragt. Markt- und Aufsichtsstrukturen begünstigten massiv die immer größer werdenden Marktteilnehmer. Richtigerweise will man diese Fehlentwicklungen jetzt teilweise korrigieren; man wählt dafür aber das falsche Leitbild.
Die regionale Kreditvergabe als Fundament
Nachweislich stellt die Realwirtschaft kein systemisches Risiko dar. Dennoch werden die kleinen und mittleren Unternehmen in der Krisenaufarbeitung unangemessen belastet. Sie waren nicht Auslöser, sondern im Gegenteil der Stabilitätsanker in der Bankenkrise. Während für Kredite an die Staaten weiterhin kein Eigenkapital hinterlegt werden muss, sollen die Eigenkapitalanforderungen an Unternehmenskredite ansteigen. Zusammen mit anderen unkoordinierten nationalen aufsichtsrechtlichen Setzungen erhöht dies insbesondere die Anforderungen und Kosten für langfristige Kredite an Unternehmen. Dies wird zu einer Verkürzung und Verteuerung langfristiger Bankkredite führen und das Zinsänderungsrisiko auf die Unternehmen verlagern. Die langfristige Unternehmensfinanzierung ist hochgradig gefährdet.
In Deutschland haben die Auswirkungen der Bankenregulierung eine besondere Bedeutung. Die starke industrielle und handwerkliche Basis sowie die hohe Kreditorientierung der Unternehmen unterscheiden Deutschland von vielen anderen europäischen Ländern. Je besser der Zugang einer Firma zu Krediten ist, desto schneller kann das Unternehmen expandieren. Damit fördert die Funktionsfähigkeit der regionalen Banken unmittelbar die Wirtschaftsaktivitäten einer Region.
Anstatt anonymer Kapitalmarktverhältnisse müssen wieder verstärkt echte und direkte Beziehungen zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern treten. Die in der Region arbeitenden Sparkassen und Volksbanken refinanzieren sich mit regionalen Spareinlagen und versorgen Unternehmen und Privatpersonen, bei Bedarf im Rahmen von Verbundstrukturen, mit Krediten. Kleine, aber relativ stabile Erträge aus dieser Tätigkeit sorgen für eine dauerhafte Stabilität.
Die grundlegende Funktion von Finanzmärkten besteht in der Vermittlung von Kapital zwischen Anlegern und Investoren, wobei Informationsasymmetrien zwischen Schuldnern und Gläubigern ausgeglichen werden müssen. Rating-Agenturen beschränken ihre Tätigkeit prinzipiell auf das Liefern von Informationen als Grundlage für Investitionsentscheidungen etwa auf Kapitalmärkten, während Banken als Risikoträger auch die Auswahl von Investitionen auf eigenes Risiko vornehmen. Die Auswahl von Investitionen beeinflusst wiederum maßgeblich das Wachstum einer Volkswirtschaft.
Eine grundlegende Problematik besteht in der asymmetrischen Informationsverteilung zwischen Kredit- bzw. Kapitalnehmern und Investoren. Das Unternehmen weiß über seine Vorhaben und die Kapitalverwendung mehr als der Investor, der sich die Informationen beschaffen, sie bewerten und im Zeitverlauf immer wieder aktualisieren muss. Diese Wissenserzeugung ist mit hohen Kosten verbunden; die Finanzwirtschaft ist damit eine wissensintensive Wirtschaft par excellence. Die Informationsqualität ist von entscheidender Bedeutung für die Auswirkungen von anlageorientiertem Handeln und entscheidet über Risiko und Rendite.
In den vorherrschenden ökonomischen Modellen werden raumlos verteilte Informationen unterstellt, eine Differenzierung nach Raumstrukturen findet nicht statt. Mag dies in kapitalmarktbasierten Finanzsystemen als vereinfachende Grundthese noch akzeptabel sein, gilt diese These in bankbasierten Finanzsystemen eindeutig nicht. Insbesondere in einem dezentralen Finanzsystem wie in Deutschland muss differenziert die räumliche Perspektive und regionale Marktorientierung explizit berücksichtigt werden.
Die Durchführung kapitalwirksamer Transaktionen ist bei asymmetrischer Informationsverteilung mit Kosten verbunden. Die Finanzwirtschaft muss für ihre Aufgabenerfüllung erst Wissen erzeugen. Die eindeutig effizienteste Form der Wissensgenerierung für die Kreditvergabe ist die Hausbankbeziehung zwischen dem Unternehmen und dem dezentralen, regional ausgerichteten Kreditinstitut. Durch wiederholte Transaktionen und das Erstellen verschiedener Leistungen, die für die Unternehmen unterstützende Funktion haben, erlangen die Banken ein umfangreiches Wissen über den Kunden und können so Risiken und Bedürfnisse besser einschätzen. Die wiederholte persönliche Interaktion zwischen Kunde und Bank führt zu einem Vertrauensverhältnis und reduziert Interessenskonflikte. Langfristige, enge Beziehungen zwischen Unternehmen und Hausbank vermindern die Informationsasymmetrien zwischen Schuldnern und Gläubigern. Das Unternehmen profitiert von angepassten Lösungen, die flexibel und schnell angeboten werden. Insbesondere in schwierigen Unternehmenssituationen ist die Verbundenheit zwischen Bank und Kunde, der Aufbau von „sozialen Kapitalreserven“, ein stabilisierendes, existenzsicherndes Element.
Das spezifische Vertrauensverhältnis in der Kundenbeziehung, das nur bei regionaler Verbundenheit entstehen kann, ermöglicht die Einbeziehung von weichen Informationen. Damit wird nicht nur die Informationsbasis erweitert, sondern auch subjektives, implizites Wissen geschaffen, dass von zentral agierenden Banken nur mit unverhältnismäßigem Aufwand generiert werden könnte. Eine kognitive Nähe zu den Kunden lässt sich nur auf gemeinsamen Kommunikationswegen und mit Interpretationsregeln der Informationen, einer gemeinsamen Kultur, erzeugen. Das Hausbankprinzip fördert die wissensbasierte Kreditvergabe, die durch besonders ausgebildete und ethischen Leitlinien folgenden Mitarbeiter vorgenommen wird.
In der Finanzkrise haben regionale Banken mit einer dezentralen Struktur ihre Kreditentscheidungen weiterhin auf heterogenen Informationen fundiert und damit der regionalen Wirtschaft während der Finanzmarktkrise solide Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt. Die regionalen, dezentralen Banken sind damit geringere Risiken eingegangen, da sie mehr über ihre Kunden und die Region wussten, die Banken besser gesteuert werden konnten und bei den Mitarbeitern keine unangemessenen Anreize zum Eingehen von Risiken erfolgten. Regional orientierte Banken halten die Kredite regelmäßig langfristig in ihren Büchern und haben somit ein hohes Interesse, sichere Kredite für produktive Investitionen zu vergeben und die Qualität ihrer Aktiva laufend genau zu prüfen.
Die Leistungsfähigkeit dezentraler durch regionale Verantwortungsnahme charakterisierte Finanzsysteme hat sich in der Finanzkrise in Deutschland eindeutig bewiesen. Sparkassen und Volksbanken haben ihre Kreditvergabe in der Krise gegenüber den zentralen Großbanken und Landesbanken gesteigert. Die räumliche und kognitive Nähe in der Kunde-Bank-Beziehung war ein sehr förderliches Element für die Robustheit der deutschen Finanzarchitektur und hat die Krisenwirkungen merklich abgemildert. Ein dezentrales, einlagenbasiertes Banksystem hat damit Struktur und Entwicklung der Realwirtschaft positiv beeinflusst.
Regional strukturierte Märkte mit eigenständig entscheidenden Finanzintermediären stabilisieren die Finanzmärkte. Unter Systemschutzgesichtspunkten wäre eine weitere Konsolidierungswelle hin zu größeren Einheiten fatal. Die Wirkungen von räumlicher, sozialer und kognitiver Nähe sollten in der Bankenregulierung vermehrt Berücksichtigung finden.
Regionale Banken agieren anders
Beschränken sich die Banken wieder auf ihre realwirtschaftlichen Basisfunktionen, so führt dies zu einer gesunden Schrumpfung des überdimensionierten Bankensektors. Es hat eine Rückbesinnung auf die fundamentale Bedeutung von regionalen Finanzmärkten zu erfolgen. Die Akteure in diesen Mikroeinheiten kennen sich und ebenso die von ihnen zu verantwortenden Geschäfte; eine professionelle und soziale Interaktion findet unmittelbar statt. Innovationen werden gefördert, aber in ihren Wirkungen auch kontrolliert. In den regionalen Einheiten können Standards für die Transparenz der Geschäfte entwickelt, Probleme vor Ort eingeschätzt und gelöst werden. Bei gravierenden ökonomischen Fehlentwicklungen haben die bekannten Akteure (Vorstand und Aufsichtsgremien) unmittelbar und persönlich ihren Ruf zu verlieren, was die Risikofreude dämpfen wird. Üblich ist es in regionalen Banken, anders als bei Großbanken, dass bei gravierenden Fehlern personelle Konsequenzen gezogen werden. Nur so kann auch ein glaubwürdiger Kulturwandel vollzogen werden.
Anstelle anonymer Kapitalmarktverhältnisse treten wieder verstärkt echte und direkte Beziehungen zwischen Kreditnehmern und Kreditgebern. Damit werden monochrome Urteile der Ratingagenturen durch viele, voneinander unabhängige Einschätzungen ersetzt. Verantwortungsvolle, unabhängige Entscheidungsträger gewährleisten ein breites Meinungsspektrum.
Dezentrale Vielfalt bedeutet auch Risikostreuung – an regionalen Finanzinstituten wie Sparkassen und Volksbanken entzünden sich keine systemischen Flächenbrände. Bei einzelnen Fehlentwicklungen muss der Staat nicht per se einspringen; durch die Einheit von Risiko und Haftung ist die individuelle Verantwortung wieder erlangt.
Ein neues Leitbild für die Bankenaufseher
Um Chancengleichheit am Bankenmarkt und die Sicherung der Finanzmarktstabilität zu fördern, sollte die Bankenaufsicht nicht alle Banken gleich behandeln, sondern deren unterschiedliche Geschäftsmodelle, ehrbares Verhalten und gesamtwirtschaftliche Risiken berücksichtigen. Die Bankenaufsicht beurteilt Banken bisher allein in Bezug auf ihre sicheren und stabilen wirtschaftlichen Verhältnisse. Ergänzt werden muss ihr Blickwinkel um den dienenden Charakter der Geschäftsaktivitäten und der stützenden Risikodiversifikation einer Bank für die Realwirtschaft. Finanzprodukte müssen transparent sein und nachweislich den Kundennutzen mehren; Geschäftsbeziehungen auf eine nachhaltige Berechenbarkeit ausgelegt sein
Ein heterogenes Bankensystem mit unterschiedlich großen und sich geschäftspolitisch differenziert bewegenden Banken wirkt gleichgerichtetem Marktverhalten entgegen und verhindert systemische Risiken. Die Stabilität eines Finanzplatzes wird durch heterogene Geschäftsmodelle, rechtliche und regionale Vielfalt sowie verschiedene Größenverhältnisse wesentlich befördert und damit mustergültig.
Orientiert sich die Bankenaufsicht überdies konsequent an den volkswirtschaftlichen Grundfunktionen des Bankwesens statt an den Anforderungen der Kapitalmärkte, wird die Komplexität einer makro-prudentiellen Aufsicht entscheidend reduziert. Denn die komplexen Kreationen der Kapitalmärkte haben das Finanzsystem komplexer und krisenanfälliger gemacht.
Die Bankenaufsicht muss folglich nicht noch mehr und immer detailliertere Regeln erlassen, sondern sich konsequent an folgendem Leitbild orientieren: lenke und begleite die verantwortliche, insbesondere langfristige Kreditvergabe der Banken für realwirtschaftliche Vorhaben; begrenze und kontrolliere Bilanzstrukturen, die aus reinen Finanzgeschäften entstanden sind. Fordere einen verbindlichen Verhaltenskodex des Ehrbaren Bankings ein und sanktioniere Verstöße konsequent.
Im europäischen Zusammenhang muss darauf geachtet werden, dass durch die Bankenregulierung nicht das Wirtschaftsmodell eines ganzen Landes zum Negativen hin geändert wird. Nationale Besonderheiten und Differenzierungen zwischen unterschiedlichen Geschäftsmodellen sind unabdingbar. Die stabilitätsfördernde „Artenvielfalt“ und Diversität verschiedener Institute und Verbünde ist höchst schützenswert.
Geschäftsmodelle müssen privilegiert werden, die darauf beruhen, Unternehmen direkt über die Bankbilanz und nicht vorrangig über den Kapitalmarkt zu finanzieren.
Ich hoffe, ich konnte Ihnen verdeutlichen, warum eine Veränderung des Leitbildes der Bankenaufsicht unbedingt notwendig ist.
Im zweiten Teil gehe ich mikroökonomisch auf einige gravierende Schwachstellen der vorliegenden Vorschläge zum Kreditrisiko-Standardansatz ein.
- Der Kreditrisiko-Standardansatz ist unter Basel II in den 2000er Jahren als Richtschnur für die Unterlegung von Unternehmens- und Privatkundenkrediten mit Eigenkapital konzipiert und kodifiziert worden. Die Finanzkrise ab 2007/2008 und die folgende Staatsschuldenkrise sind der stärkste denkbare reale Stresstest für die Unterlegung der Kredite mit Eigenkapital gewesen. Im Nachhinein haben sich die Risikogewichte für die Kredite sogar als eher zu konservativ gewählt heraus gestellt. Eine Veränderungsnotwendigkeit kann ich daher nicht erkennen.
- Die überwiegende Mehrheit der Kapitalanforderungen für Banken ergibt sich aus Kreditrisiken. Für die Hamburger Volksbank beispielsweise 86,5 Prozent. Und diese wurden wiederum vollständig mit dem Standardansatz ermittelt. Die Kapitalanforderungen entfallen zu 27 Prozent auf Unternehmenskredite, 13 Prozent Mengengeschäft und 43 Prozent durch Immobilien besichert. Obgleich immer wieder betont wird, dass keine Erhöhung der Eigenkapitalunterlegung gewünscht ist, sprechen das Spektrum der erhöhten Risikogewichte und erste Simulationen von einer Erhöhung der Kapitalanforderungen von über 30 Prozent.
- Es drängt sich der Eindruck auf, dass der Baseler Ausschuss eine nachvollziehbare Verschärfung der internen Modelle bewerkstelligen möchte, dafür jedoch eine Anhebung der Anforderungen im Kreditrisiko-Standardansatz missbraucht, die dann als Floor für die internen Modelle dienen soll. Ich halte diese Vorgehensweise für einen gravierenden, inakzeptablen methodischen Fehler. Folgt man dem bankaufsichtlichen Leitbild der dienenden Rolle der Finanzwirtschaft für die Realwirtschaft muss der Standardansatz für die Kreditinstitute „sortenrein“ vorgehalten werden, die kundeneinlagenbasiert Transformationsleistungen für Unternehmen, Institutionen und Privatpersonen vornehmen. Für international tätige Banken bleibt die Anwendung verschlossen; ein methodischer Cross-over ist strikt zu begrenzen. Das Modellrisiko ist autonom und alleinig in den internen Risikomodellen zu begrenzen; bitte keine „Ansteckung“ des Kreditrisiko-Standardansatzes!
- Bei der Eigenkapitalunterlegung von Unternehmensfinanzierungen soll anstelle der bisherigen pauschalen Gewichtung von 100 % eine Transparenztabelle unter Berücksichtigung von Umsatz und Verschuldungsgrad, die der Baseler-Ausschuss glaubt als alleinige Risikotreiber erkannt zu haben, eingeführt werden. Demzufolge werden Kredite an Firmen mit höherem Umsatz tendenziell geringer gewichtet und damit kleinere Unternehmen benachteiligt. Diese Schlechterstellung ist nicht gerechtfertigt. In meinen allgemeinen Ausführungen konnte ich belegen, welch enge und umfassende informatorische Beziehung zwischen den Kreditinstituten und ihren Kreditkunden besteht. Beim nicht-zeitnahen Vorlegen von Jahresabschlussdaten soll das Risikogewicht gemäß Baseler-Ausschuss jedoch auf 300 Prozent heraufschnellen. Der Baseler-Ausschuss verkennt damit völlig die effiziente Leistung von regional organisierten Banken bei der Überwindung von Informationsasymmetrien zwischen Banken und Kreditnehmern.
- Selbst wenn eine statistisch höhere Ausfallquote von KMU´s empirisch belegbar wäre – was mir nicht bekannt ist – wäre diese vielmehr bereits in den Kreditkosten, dem erwarteten Verlust, eingepreist. Mit den Eigenkapitalanforderungen werden deshalb auch nicht die erwarteten Verluste unterlegt, sondern die unerwarteten Verluste, die bei diversifizierten Portfolios von kleineren Krediten aber eindeutig niedriger sind als bei höheren Krediten.
- Auch der zweite Risikoindikator, der Verschuldungsgrad, weist grundlegende Schwächen auf. Differenziert nach unterschiedlichen Branchen, Stadien der Unternehmensentwicklung und der Produktentwicklung haben sich deutlich unterschiedliche Anforderungen an den Verschuldungsgrad etabliert. Hinzu kommen Unterschiede aus den nationalen Rechnungslegungsstandards, die zu gravierenden Verzerrungen führen würden. Der Verschuldungsgrad weist damit fatale Schwächen auf.
- Während heute für Unternehmensforderungen außerhalb des Retailbereiches meist 100 Prozent als Risikogewicht genutzt werden, würde künftig ein Risikogewicht von 60 bis 300 Prozent anzusetzen sein, wobei es für KMU´s unmöglich ist, Risikogewichte unter 100 Prozent zu erreichen. Bei der Ausgestaltung sollte dringend auch auf die Beherrschbarkeit der Datenthematik geachtet werden. Erhebung, Pflege und Schutz sämtlicher Daten, die zur Ermittlung der Risikogewichte erforderlich sind, würden sehr hohe Aufwände bei den Banken hervorrufen. Die Rahmenbedingungen für die Mittelstandsfinanzierung würden sich gravierend verschlechtern. Sinnvoller ist es, das bisherige System durchschnittlicher Risikogewichte für Kredite ohne Rating beizubehalten.
- Als Messkriterium für Mengengeschäfte mit einem reduzierten Risikogewicht von 75 Prozent wird eine Granularitätsschwelle von 0,2 Prozent des Retailportfolios vorgesehen. Diese Granularitätsschwelle würde kleine Kreditinstitute gravierend benachteiligen. Die Deutsche Kreditwirtschaft hat in ihrer Stellungnahme angeregt, die Granularitätsschwelle auf 0,5 % des Mengengeschäftsportfolios zu erhöhen und die Größengrenze auf 1,5 Mio. €.
- Die Einführung höherer Pauschalgewichte bei Kreditforderungen, die durch Gewerbe- oder Wohnimmobilien besichert sind, ist unbegründet. Gleiches gilt für die Erhöhung der Pauschalgewichte bei Bauträger- und Immobilienfinanzierungen. Bei der Hamburger Volksbank betrifft dies immerhin 43 Prozent der Eigenkapitalanforderungen. Christian Denk ist auf Einzelheiten bereits eingegangen. Aufgrund der hohen Werthaltigkeit gesicherter Kredite und der stabilen Wertentwicklung in Deutschland ist diese Verschlechterung nicht nachvollziehbar.
- Kreditlinien bis auf weiteres, die nicht in Anspruch genommen und widerrufbar sind, waren bisher nicht mit Eigenkapital zu unterlegen. Nach dem vorliegenden Regelungsentwurf sollen diese in Zukunft mit 10 Prozent risikogewichtet werden. Für diesen risikogewichteten Betrag ist dann ein Mindesteigenkapital von 8 Prozent vorzuhalten. Bei widerrufbaren Linien ist diese Verschärfung nicht einsehbar und belastet die Unternehmen unangemessen.
Damit möchte ich zu meinem abschließenden Fazit kommen:
Die Kreditrisiko-Regulierung ist kein Selbstzweck. Innerhalb einer komplexen und sich ständig entwickelnden Wirtschaft trägt ein mechanistisches System einer Kreditrisiko-Regulierung nicht zur Stabilisierung des Finanzsystems bei und könnte fatale Auswirkungen für die Kreditversorgung insbesondere des Mittelstands durch einlagenbasierte Banken haben. Die Suche nach alternativen Risikotreibern ist genauso intensiv fortzusetzen wie die Analyse der Ergebnisse der quantitativen Auswirkungsstudien. Hier geht Gründlichkeit eindeutig vor Schnelligkeit.
Der jetzige Kreditrisiko-Standardansatz hat sich grundsätzlich bewährt. Die Gründe für eine potentielle Veränderung überzeugen nicht. Eine Verbesserung könnte allenfalls ein gleichermaßen komplexer und hochgradig anpassungsfähiger regulatorischer Ansatz erbringen. Zu suchen ist ein Ansatz, der das bankenspezifische Risikomanagement in den Mittelpunkt stellt und gleichzeitig nicht so sehr auf starre mathematische Formeln abstellt, sondern auch Platz lässt für das Urteilsvermögen der bankaufsichtlichen Entscheidungsträger. Ein solcher Ansatz wäre weniger vorhersehbar und würde die geplante Vergleichbarmachung des Unvergleichlichen ausschließen. Gefragt sind Ansätze, die die verantwortliche, insbesondere langfristige Kreditvergabe der Banken für realwirtschaftliche Vorhaben bankaufsichtlich begleitet. Strikt begrenzt und eng kontrolliert werden müssen Bilanzstrukturen, die aus reinen Finanzgeschäften entstanden sind; hier muss eine übermäßige Risikobereitschaft verhindert werden.
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