Mehr Unternehmertum wagen!

Gastrede von Dr. Reiner Brüggestrat, Vorstandssprecher Hamburger Volksbank auf dem Jahresempfang der Deutschen Bundesbank

Hamburg, 3. Februar 2020

Sehr geehrte Damen und Herren Präsidenten, Senatoren, Minister und Abgeordnete!
Verehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen.

Ich möchte mich im Namen aller Anwesenden bei Ihnen, sehr geehrter Herr Balz und Ihnen, lieber Herr Dr. Bäcker, sehr herzlich für die Einladung zum heutigen Empfang bedanken. Ihre Ausführungen haben uns Orientierung und die notwendige Klarheit in Bezug auf die weitere konjunkturelle Entwicklung, die Geldpolitik sowie die Megatrends Digitalisierung und Nachhaltigkeit gegeben.

Ich möchte mein Grußwort unter das Motto stellen: Mehr Unternehmertum wagen! Neben der Ehre das Grußwort der Kreditwirtschaft sprechen zu dürfen, haben Sie mir auch eine große Bürde aufgegeben, heute die Finanzwirtschaft ordentlich zu repräsentieren. Was liegt da zunächst näher, sich Orientierung aus der Vergangenheit zu holen? Ich hatte bereits am 23. Februar 2009 die Ehre, hier stehen zu dürfen. 2009 – da war doch was, kurz davor? Ja, der 15. September 2008. Wir waren mitten in der Bankenkrise. Also habe ich mir einmal angeschaut, was ich damals zu Ihnen gesagt habe. Wer war damals schon dabei?

Rückblick auf das Jahr 2009

Ich habe Anfang 2009 kurz einen Blick auf die Krisenursachen geworfen, um dann zu formulieren: „Die Diskussion über die Banken-Rettungspakete ist jedoch differenzierter zu sehen. Die Dimensionierung und Finanzierung der Rettungsmaßnahmen stand notgedrungen im Vordergrund. Es fehlt jedoch an einem Gesamtkonzept für die Restrukturierung von betroffenen Banken. Denn erst so lässt sich eine Strategie zum Rückzug des Staates aus den gestützten Banken entwickeln, ein Weg der weiter und länger wird, als bislang bedacht wurde.“ Wenn ich mir die weitere Entwicklung beispielsweise bei der HSH Nordbank und der Commerzbank anschaue, war meine Einschätzung vor 11 Jahren gar nicht so falsch.Und einige Passagen weiter stellte ich folgende Frage: „Weil die gesamte Wirtschaft ohne funktionierendes Finanzsystem kollabieren würde, war die Hilfe ohne Alternative. Aber niemand weiß im Moment, wie hoch der Preis ist, den wir dafür zahlen müssen – und ob der Staat ihn am Ende überhaupt bezahlen kann.“ Heute, einige Krisen später, wissen wir: Ja, der deutsche Staat konnte den finanziellen Preis dank sprudelnder Steuereinnahmen gut bezahlen. Doch welchen Preis hat die Finanzbranche selbst gezahlt und welchen gesellschaftlichen Preis müssen wir alle noch bezahlen oder haben ihn schon gezahlt?

Die Finanzbranche im Schraubstock

Zunächst zu unserer Finanzbranche. Zu mindestens in Europa war das Jahr 2008 der Beginn eines permanenten Anspannungs- und Krisenzustandes.Und was wird den Unternehmen in Form von Banken seit Jahren angesichts von Negativzinsen, Regulatorik, Digitalisierung und demographischen Veränderungen nicht alles empfohlen: das Geschäftsmodell überdenken, Provisionen steigern, die Kosten senken, wie FinTechs agieren, kooperieren, fusionieren, digitaler und profitabler werden, sich konsequent an den Kundenbedürfnissen ausrichten sowie innovative Wege zum Kunden finden und vieles mehr.Und wie reagiert unsere Branche auf diese wohlgemeinten Ratschläge der Bundesbank und der Aufsicht, der Politik und professoraler Berater: wie aufgescheuchte Hühner, die sich möglichst wie Musterschüler verhalten möchten. Es wohlfeil allen recht machen wollen – auch die unsinnigste Regulatorik einhalten, Negativzinsen weitergeben, agil werden, Kosten senken und gleichzeitig alle Formalien einhalten, die Bürokraten so ersonnen haben.

Oder was ist von einer Branche zu halten, die es klaglos zulassen muss, dass sich Aufsichtsvertreter in Beratungsgespräche mit Kunden setzen und diese protokollieren? Um dann im stillen Aufsichtskämmerlein zu strukturieren und zu entwerfen, wie ein ideales Beratungsgespräch ihrer Meinung nach abzulaufen hat. Kann man sich ernsthaft vorstellen, dass ein Arzt unter der Aufsicht der kassenärztlichen Vereinigung operiert?

Ein regulatorischer, vereinheitlichender und zinspolitischer Schraubstock lässt das Individuelle, Unternehmerische im Bankwesen hinter der Bürokratie verschwinden. Die Kosten der Selbstorganisation können schlicht nicht mehr verdient werden. So ist die Anzahl der Seiten der europäischen Bankenregulierung von 6.000 Seiten in 2013 auf 34.000 Seiten in 2019, also um fast das 5-fache angestiegen! Am Ende eines bereits eingeleiteten Prozesses könnte das Ende des Bankwesens, so wie wir es kennen und brauchen, stehen. Ein Übergang zu einer wie auch immer gearteten Form einer geplanten Wirtschaft in hybrider Form ist bereits im Gange. Das System frisst sich selbst auf und der Bankunternehmer verschwindet. Gabor Steingart schrieb dazu: „Im Unterschied zu den Revolutionären vorangegangener Jahrhunderte, die Barrikaden in Brand steckten und Dynamit in den Taschen trugen, sind die neuen Aufständischen gesittet und höflich. Banken werden nicht gestürmt, sondern reguliert.“ So ist die Anzahl der Mitarbeiter in der deutschen Kreditwirtschaft seit 2009 um gut 100 Tausend, das sind knapp 16% zurückgegangen, während allein die BaFin im gleichen Zeitraum ihr Personal um über 50 % aufgestockt hat. Und ein weiterer Punkt beunruhigt mich zutiefst: Vergleicht man das Ansehen verschiedener Berufsgruppen zwischen 2007 und 2019 so verwundert es vielleicht nicht, dass Feuerwehrmänner, Ärzte und Krankenpfleger mit 97% bis 87 % weiterhin an vorderster Stelle des hohen Ansehens stehen. Und auch erwartbar, dass das Image von Versicherungsvertretern mit 8 % ähnlich schlecht ist, wie das von Politikern mit 16%. Nachdenkenswert ist allerdings, dass sowohl Bankangestellte mit einem Rückgang um 14 Prozentpunkten, Manager um 18 PP und Unternehmer mit sogar 20 Prozentpunkten erratisch an gesellschaftlichen Ansehen verloren haben.

Unternehmertum als schöpferische Chance

Zwar ist der Unternehmerbegriff in Deutschland traditionell eher negativ geprägt. Das stereotype, unsympathische Urbild wird in dem Märchen „Das kalte Herz“ von Wilhelm Hauff beschrieben. Darin wird die bürgerliche Aversion gegen den Gestalter, Entscheidungsträger und Kapitalbeschaffer in der beginnenden Industrialisierung deutlich. Literarisch sieht es mit dem „Kaufmann von Venedig“, den „Buddenbrooks“ und der Serie „Bad Banks“ allerdings auch nicht besser aus. Gemäß Joseph Schumpeter ist der Unternehmer ein kreativer Zerstörer und damit das Salz in der Suppe des Kapitalismus. Er setzt das für richtig Erkannte und Neue auch gegen Widerstände durch. Der Unternehmer hat die Gabe, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Er weiß intuitiv, wann Zeit und Ort für Neues ist; er ist ein dynamischer Faktor jenseits aller Gleichgewichtsdogmen. Ihn zeichnet eine latente Widerständigkeit aus. Doch ebenso das latente sich und seine Aktivitäten in Frage stellende – die Selbstgewissheit einer Exekutive ist ihm fremd.

Allerdings zerstört der Unternehmer nicht nur, sondern in gleichen Teilen erfolgt kreativ und innovativ die Herstellung von neuen Kombinationen von Produkten und Produktionsprozessen, von Organisation, Dauerhaftigkeit, Rechenhaftigkeit und Redundanz.

Warum glaube ich, dass mehr Unternehmertum der Finanzwirtschaft gut tun würde? Dass mehr unternehmerisches Handeln Not tut, dass Banken zu finanzwirtschaftlichen Unternehmen gemacht werden müssen! Wird eine Kernaufgabe des Unternehmers darin beschrieben, permanent Altes durch neues, durch die schöpferische Zerstörung, zu ersetzen, so steht heute der technische Fortschritt durch die digitale Transformation im Zentrum der Überlegungen. Die kreative Zerstörung erfolgt durch digitale disruptive Innovationen, welche ein stärkeres Unternehmertum und einen starken Staat zur Durchsetzung von infrastrukturellen und wettbewerbsrechtlichen Rahmenbedingungen benötigen. Im gesellschaftlichen Zusammenhang werden durch die Digitalisierung die Angst vor der Unsicherheit sowie dem Unbekannten und ebenso die Lust zur Kreativität angesprochen. Um eine Balance zwischen diesen Kräften zu erreichen, wäre der Sozialcharakter einer unternehmenden Gesellschaft sehr dienlich. Nur: wie lässt sich dieser erreichen? Besonders in Deutschland, wo das Unternehmertum keinen guten Ruf besitzt.

Um eine neue Gründerzeit zu ermöglichen, die digitale Innovationen in das Zentrum der Überlegungen stellt, sollten unternehmerische Eigenschaften in den Vordergrund rücken. Weitsicht und Mut in der Durchsetzung neuer Ideen und Lösungen. Unternehmertum ist zugleich eine Form und Methode, den Wandel gesellschaftlich progressiv und produktiv zu gestalten. So können die Menschen den Wandel annehmen, statt ihn abzuwehren. Dazu bedarf es jedoch finanzwirtschaftlicher Unternehmen, die einen Gestaltungsspielraum besitzen. Eine Allianz des Fortschritts lässt sich heute als produktives Beziehungsgeflecht in Form von Kooperationen beschreiben. Der Begriff der Stunde sind open innovations, die Kollaboration zwischen Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen nötig macht, was wiederum in höherem Maße die Agilität und Offenheit der Akteure bedingt. Damit wird sich die Erkenntnis zunehmend durchsetzen, dass Kooperationen mehr zum Gemeinwohl beitragen als die Konkurrenz, was dem Modell des Homo Oeconomicus viel von seiner Leitwirkung nehmen wird. Womit allerdings nicht gemeint ist, dass immer der Klügere nachgeben darf, denn sonst regiert die Dummheit.

Genossenschaften 4.0

Gestatten Sie mir an dieser Stelle den Werbeblock in eigener Sache. Ich bin der festen Überzeugung, dass der genossenschaftliche Gedanke und die Unternehmen der genossenschaftlichen Rechtsform einen wertvollen Beitrag zum zukunftsfähigen Wandel leisten. Unsere Geschichte ist weder aus erzählt noch sind die Grundlagen des genossenschaftlichen Geschäftsmodells überdehnt. Ganz im Gegenteil: wenn wir es richtig machen, kommen unsere Tage jetzt erst richtig. Überall wird angesichts steigender Unsicherheit und Komplexität nach Orientierung, Einbeziehung und Vernetzung gerufen. Und ist Kooperation nichts anderes als Genossenschaft 4.0? Also das gesellschaftliche Zukunftsmodell par excellence! Unternehmer der Zukunft beziehen andere ein – sinnvollerweise nicht nur solche Menschen, die den gleichen Hintergrund wie sie selbst mitbringen, sondern sich unterscheiden – in der Herkunft, im Alter oder der Ausbildung. Und ganz im genossenschaftlichen Sinne greifen wir sehr oft zum äußersten: wir reden miteinander! Mit unseren Kunden, den Eigentümern, die alle auch unsere Kunden sind, unseren Mitarbeitern, der Gesellschaft – eben mit dem gesamten Volk. Diese Vorgehensweise hat es der Hamburger Volksbank ermöglicht, seit 2008 die Bilanzsumme mehr als zu verdoppeln, die Kundeneinlagen um 135% und die Kundenkredite um 175% und das Betriebsergebnis um fast 180% steigern zu können. Ich finde, eine genossenschaftliche Erfolgsbilanz, die sich sehen lassen kann.

Die Finanzwirtschaft und der Green Deal

Dieser Zusammenhang führt mich zur Frage nach der gesellschaftlichen Dimension unseres Handelns. Wollen wir uns diese Frage als Banker überhaupt stellen? Ich meine ja: - Weil nur so der letzte Rest an öffentlicher Glaubwürdigkeit gerettet werden kann, - Weil wir dienender Teil des Wirtschaftssystems sind, - Und weil wir uns nicht aus dem öffentlichen Diskurs über die Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung verabschieden sollten. Warum sollen es nicht gerade die Banken sein, die mit der Gesellschaft einen neuen Gesellschaftsvertrag abschließen? Die Unternehmertum und gesellschaftliche Verantwortung in eine neu gegründete Beziehung und ernst gemeinte Verantwortlichkeit setzen. Wir als Banker an der Schaltstelle der Kapitalströme müssen uns fragen: Wie passt das Versprechen von Nachhaltigkeit zum notwendigen Gewinnstreben einer Unternehmung? Muss ein Unternehmen heute nicht nur Aufträge akquirieren, sondern auch unangemessene Aufträge ablehnen? Braucht es nicht auch im Vorstand jemanden, der etwas von „Business to Society“ versteht? Und was passiert mit der Finanzwirtschaft, wenn der Grüne Schwan kommt, ein unvorhersehbarer Klima-Wirtschafts-Schock? Ich verstehe beispielsweise nicht, warum die Finanzwirtschaft sich nicht viel kraftvoller und vehementer für einen nachhaltigen Weg des Green Deals entschieden hat. Die ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen liegen auf der Hand und werden breit apostrophiert. Nur wenn Kapitalströme entschlossen und in wachsender Geschwindigkeit umgesteuert werden, können die epochalen technologischen und gesellschaftlichen Veränderungen bewältigt werden. Aufsicht und Politik können die Problemlagen nur allgemein benennen. Umgesetzt werden müssen sie mit mutiger bank- unternehmerischer Kraft. Black Rock Chef Larry Fink formuliert es so: „Wir müssen festhalten, dass Klimarisiken auch Investitionsrisiken sind. Künftig werden wir Nachhaltigkeit zu einem wesentlichen Bestandteil unserer Portfoliokonstruktion und unseres Risikomanagements machen. Wir werden uns von Anlagen trennen, die ein erhebliches Nachhaltigkeitsrisiko darstellen.“

Ja, ein Weg voller Risiken, der wohl überlegt sein will. Die Risiken müssen abgesichert sein, nachhaltige Investments sollten mit geringeren Ausfallwahrscheinlichkeiten behaftet sein. Gemeinsam, mit unternehmerischem Geist und Wagemut können wir unsere Kriterien für die langfristige Zukunftsfähigkeit entwickeln. Wobei wir das Risikomanagement ganz sicher nicht Algorithmen überlassen dürfen, sondern unternehmerisch denkenden und handelnden Bankern. George Bernard Shaw sagte einmal: „Was wir brauchen, sind ein paar verrückte Leute; seht euch an, wohin uns die normalen gebracht haben.“ Oder weniger prosaisch formuliert: Freiheit wird zur Einsicht in die Notwendigkeit und reduziert sich sogar darauf, die Folgen früherer Freiheitsentscheidungen zu korrigieren. Wir müssen eben die Emotionen mit den Fakten versöhnen, damit nicht die Prognose von Karl Popper eintritt: „Der Versuch, den Himmel auf Erden einzurichten, produziert stets die Hölle.“

Und vielleicht gelingt es tatsächlich im Rahmen eines neuen Gesellschaftsvertrages, in dem die Finanzwirtschaft nicht von vornherein den Schwarzen Peter zugespielt bekommt. Denken wir gemeinsam mutig daran: Unternehmer müssen nicht geliebt werden. Doch sie brauchen die Akzeptanz für das, was sie unternehmerisch tun, um eben mehr Unternehmertum im Bankwesen wagen zu können.

Abschließend wünsche ich allen Anwesenden persönlich und ihren Unternehmen für 2020 und am besten gleich für das ganze anstehende Jahrzehnt eine unternehmerische und glückliche Entwicklung. Und mögen Sie bitte zu mindestens von Ihren Lieben nachhaltig geliebt werden.

Pressekontakt:

Heidi Melis              
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